Viele Reiter wissen, dass die Hinterhand ihres Pferdes aktiv sein muss, aber die wenigsten verstehen, was das wirklich bedeutet. Wir unterscheiden bei der Beurteilung der Hinterhandtätigkeit drei Kriterien:
- der Raumgriff
- die Höhe der Tritte
- die Beckenaktivität
Wenn ein Pferd fleißig vorwärts geht, macht es große Schritte nach vorne und das Hinterbein fußt unter dem Reitergewicht. Hierdurch fällt es dem Pferd leichter, das Reitergewicht zu tragen. Das wissen die meisten Reiter und halten sich daran. Heute allerdings reicht diese Regel nicht mehr aus.
Wenn ein Pferd mit hohen Tritten unter seinen Körper tritt, wird das in der Regel als Versammlung bezeichnet. Das bedeutet klassisch ausgedrückt „die Kadenz“ erhöht sich, wodurch sich der Raumgriff verringert. Das Pferd verlagert sein Gleichgewicht mehr auf die Hinterhand. Auch diese Erklärung kennen die meisten Reiter und auch diese Erklärung ist nicht mehr uneingeschränkt zeitgemäß.
Warum?
Früher war der Körperbau der Pferde so, dass großer Raumgriff und schöne Versammlung nur unter Beteiligung des Beckens möglich waren. Heute sind die modernen Sportpferde so gezüchtet, dass beides mit nur minimaler Beteiligung des Beckens möglich ist. Die Folgen sind für die Gesundheit des Pferdes katastrophal.
Bitte probiere einmal die auf dem Bild dieses Beitrages gezeigte Übung:
Wenn man das Bein so hoch anhebt und dabei nicht im Hohlkreuz die Schultern nach hinten kippen lassen will, geht das nur, wenn das Becken beteiligt ist. Dabei fühlt man, wie der Rücken im Bereich der Lendenwirbelsäule in eine stabile Dehnung gezogen wird.
Genauso ist es beim Pferd, wenn es beim vorwärts treten das Becken mit bewegt. Die langen Muskeln entlang der Wirbelsäule werden gedehnt und der gesamte Rücken erhält ein hohes Maß an Stabilität, wodurch das Pferd den Reiter gut tragen kann.
In der Dressurausbildung sollte es deshalb so sein, dass das Pferd im ersten Ausbildungsabschnitt lernt, mit der Hinterhand so fleißig zu sein, dass das Becken bei jedem Schritt gut mit bewegt wird und dann in der Versammlung „schöner“ vorwärts tritt ohne dass die Beckentätigkeit nachlässt. (Hierbei nimmt das Pferd dannn übrigens auch selbstständig! die schöne Halshaltung der Versammlung ein, eine Zügeleinwirkung ist nicht vorgesehen.) Deshalb ist auch die Erhaltung des Schwungs in der Versammlung ein wesentlicher Faktor bei der Entwicklung gesunder Versammlung.
Bewegt das Pferd die Hinterhand ohne das Becken zu kippen, entwickelt sich ein Hängerücken. Beim jungen Pferd fällt das noch nicht auf, da es eine Weile dauert, bis die Wirbelsäule so kaputt ist, dass man auch von weitem das Hohlkreuz sieht. Lange Zeit sieht das Pferd gesund aus, aber die Muskeln im Rücken sind bereits viel zu weich und „schwabbelig“ und können den Reiter nicht mehr tragen. Das Gewicht lastet viel zu sehr auf den Knochen.
Oft habe ich mit Reitern zu tun, die diese Erklärung zwar hören aber nicht umsetzen können (wollen?) weil das Sitzen auf einem Pferderücken ohne Beckenbewegung sehr viel leichter ist, als auf einem Pferd mit Beckenbewegung.Der Rücken ohne Beckenbewegung bewegt sich fast gar nicht. Oft sieht man barocke Pferd (Spanier, Friesen), die ohne Beckenbewegung beeindruckende Tritte zeigen und die Reiter schwärmen, wie toll weich und bewegungslos man sitzen kann. Auch viele Freizeitreiter kennen diese Zusammenhänge nicht und freuen sich über eine vermeintlich schöne, angenehme Rückentätigkeit ihres Pferdes.
Unbedingt zu beachten sind diese Aspekte bei Pferden mit kurzem Rücken (z.B. Barockpferde, Friesen, Ponys) und hoher Beinaktivität. Hierbei wird sehr häufig der Rücken steif und ungeübte Blicke sehen nicht, dass die Bewegung lediglich aus den Beinen entsteht. Bei diesen Pferderassen ist das Risiko häufiger Rückenerkrankungen, wie beispielsweise Kissing-Spines, besonders hoch.
Sabine Bruns
Das Bild dieses Beitrages stammt aus dem Buch „Physio-Riding mit Sabine Bruns“, Verlag Müller-Rüschlikon