Oktober 16, 2024

Wie schwer darf der Reiter sein?

Da wir uns beim Physio-Riding  grundsätzlich an wissenschaftlich fundierte  Fakten halten,   können wir keine festen Zahlen / Prozentzahlen nennen, wie es gerne bei dieser Frage getan wird, sondern wir beurteilen gemeinsam mit dem Reiter das individuelle Paar und richten uns dabei nach folgenden 5 Fragen:

  1. Wie alt ist das Pferd

Das Knochengerüst des Pferdes – und vor allem die Lenden-Becken-Region – ist erst „fertig gewachsen und belastbar“, wenn das Pferd sein 7. Lebensjahr erreicht hat. Allerdings richtet sich das Wachstum von Knochenstrukturen, Sehnen und Muskeln auch danach, wie das Pferd aufwächst.

Ein Pferd, dass bis zu seinem 10 Lebensjahr nur auf einer kleinen Weide spazieren geht und dann zum Reitpferd werden soll, wird eher gesundheitliche Probleme bekommen, als ein Pferd dass ab Jugend sorgfältig ausgebildet wird, weil die Strukturen im Körper des älteren Pferdes nicht auf eine zusätzliche Belastung vorbereitet sind.

Leider gibt es über diese Zusammenhänge bisher keine wissenschaftlich fundierten Studien bei Reitpferden.  

2.  Wie lange sitzt der Reiter auf seinem Pferd?

Es ist ein großer Unterschied, ob ein Pferd auf einem dreistündigen Ausritt oder in einer 30 minütigen Dressurtrainingseinheit geritten wird.

Weiterhin ist es ein großer Unterschied, ob jemand während einer Reiteinheit konstant reitet oder in regelmäßigen Abständen absteigt.

Egal, ob in der Reithalle oder im Gelände: Die Möglichkeit, abzusteigen und damit seinem Pferd eine Pause zu gönnen, ist so einfach und trotzdem in keiner Reitlehre vorgesehen? Warum?

Wer beispielsweise mit seinem Pferd einen 60 minütigen Ausritt macht und dabei 2 mal 10 Minuten lang absteigt und nebenher geht, belastet sein Pferd deutlich weniger, als jemand der 30 Minuten konstant versammelnde Dressurlektionen übt, denn in den 30 Minuten kann das Pferd nie vollständig den Rücken entspannen und frei bewegen.

Beim Physio-Riding verbinden wir sowieso gerne die Bodenarbeit nahtlos mit der Reiteinheit, wodurch der Pferderücken deutlich weniger belastet wird, und das Pferd deutlich schneller lernt, als bei „normaler“ Ausbildung.

Wenn ich beispielsweise meinem jungen Pferd die Seitengänge auf Signal per Bodenarbeit (z.B. durch positive Bestärkung) beibringe und dann während der Reiteinheiten absteige, die Lektion am Boden 5 Minuten lang ausübe, anschließend wieder aufsteige und die Übung wiederhole, lernt das Pferd sehr viel leichter und stressfreier, als wenn der Reiter ziehend und drückend den Seitengang während des Reitens entwickeln will.

Ich kann auf diese Art auch junge Pferde reiten, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, weil ich in einer dreißigminütigen Ausbildungseinheit nie länger als 5 – 10 Minuten am Stück drauf sitze.  Die Pferde sind nach der Trainingseinheit weder erschöpft noch  gestresst und haben trotzdem (oder gerade deswegen :-)) sehr viel gelernt. (Allerdings scheinen manche Reiter Konditionsprobleme zu bekommen, wenn sie mehrmals während einer Stunde den kräftezehrenden Aufstieg auf den hohen Pferderücken vollführen müssen.)

3. Wie beweglich / sportlich ist der Reiter?

Ein Reiter muss in der Lage sein, seine Becken- und Lendenregion gut zu bewegen, um die Rückentätigkeit des Pferdes so wenig wie möglich zu behindern. Außerdem muss ein Reiter über eine sehr gute Haltemuskulatur verfügen, um auf dem Pferd ein möglichst konstantes Körpergleichgewicht herstellen zu können. Drittens muss der Reiter mental gelassen und ausgeglichen sein, damit sein Pferd losgelassen agieren kann.

Jeder Reiter, der auf dem Pferd Muskeln anspannt, die beweglich sein sollten, behindert die Beweglichkeit seines Pferdes.  Jeder Reiter, der aus Angst oder Unsportlichkeit mit den Beinen klammert oder sich am Zügel festhält, ist ein Risikofaktor für die Gesundheit des Pferdes. Dieser Faktor ist viel wichtiger als die Frage, wie schwer der Reiter ist.  Ich kenne gertenschlanke Menschen, die die Rücken ihrer Pferde zuschanden geritten haben, weil sie während des Reitens nicht beweglich genug waren.

4.  Der Körperbau des Pferdes

Das Pferd muss unter dem Reiter seine Lendenwirbelsäule aufwölben können, um das Becken und damit die Hinterhand gut bewegen zu können. Nur so ist es möglich,  dass es sich unter dem Reiter gut ausbalancieren kann.

Ist ein Pferd sehr kurz, passiert es leicht, dass Reitergewicht nicht nur auf dem stabilen Brustkorb lastet, sondern auch in der Lendenregion, was unbedingt vermieden werden sollte.

Übergewicht des Pferdes: Oft sieht man vermeintlich breit gebaute „Gewichtsträger“, die auf den ersten Blick so wirken als könnten sie auch schwere Reiter problemlos tragen. Diese Pferde sind aber häufig nicht breit gebaut, sondern fett  gefüttert und somit erst recht nicht geeignet, auch noch zusätzliches Gewicht eines schweren Reiters zu tragen.

5. Das Wissen und Können des Reiters

Ein Reiter, der gut ausgebildet ist, über fundiertes theoretisches Wissen verfügt und sein Pferd entsprechend sorgfältig reitet, erkennt die Zeichen, mit denen ein Pferd signalisiert, dass es überfordert ist und wird darauf reagieren. Wenn beispielsweise das Pferd sich auf die Hand legen will, oder im Rücken nicht mehr locker weich schwingen kann, sind das Zeichen dafür, dass das Pferd die Hinterhand oder / und den Rücken ausruhen muss.

Wenn ein Pferd ungehorsam wird, ist es in aller Regel überfordert und verspürt Schmerzen. Wenn ein Pferd sich anspannt, hektisch wird, immer öfter scheut, ist es überfordert.

5. Die Lebensumstände des Pferdes

Ein Pferd, das durch eine gesunde Haltung (Offenstall, Aktivstall) und Fütterung gesund lebt, kann mehr tragen und leisten, als ein Pferd, dass in Boxenhaltung lebt und somit sowieso gefährdeter für gesundheitliche Probleme des Bewegungsapparates ist. Besonders vernächlässigt wird oft, dem Pferd regelmäßig die Möglichkeit zu geben, ausgiebig im Renngalopp alle Muskeln zu strecken, was für den gesunden Muskelaufbau sehr wertvoll ist.

Empfohlene Maßnahmen             

Wenn ein Reiter Signale erkennt, die daraufhin deuten, dass sein Pferd überfordert ist, soll er die beachten und darauf reagieren.

Tierphysiotherapeutische Maßnahmen, wie beispielsweise die regelmäßige Massage und gut geplante Übungen zum Muskelaufbau (z.B. isometrische Übungen, Dehnungsübungen, Bodenarbeit)  sind beste Prophylaxe.

Durch fundierte Trainingsplanung, gutes Coaching und regelmäßige Videokontrolle sollte ein Reiter die Gesundheit des Pferdes immer im Auge behalten. Viele Risiken können so minimiert werden.

Wichtigstes Faszit:

Reiter, sei Du Dir Deiner Verantwortung bewusst und verdränge das Problem nicht, dann werden Dein Pferd und Du auch eine glückliche Zeit miteinander haben.

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