Heute möchte ich mal meine Gedanken zu einem Thema loswerden, das mir in der Praxis immer wieder begegnet und vermutlich werde ich dabei einigen Leser*innen „auf die Füße treten“. Bitte fühlt Euch freundschaftlich getreten. Danke!
Beispiel: Ich komme zu einer Frau X mit einem Pferd Y. Ich werde gerufen, weil Frau X von ihrem Pferd abgeworfen wurde, obwohl sie sich so große Mühe gegeben hat, alles richtig zu machen. Das Pferd kennt keinen Zwang oder Schmerz vom Menschen, sondern wurde mit viel Liebe modern und intelligent ausgebildet.Nun aber hat das Pferd gebockt oder ist durchgegangen. Es ließ sich nicht mehr anhalten und die Reiterin hat „den Boden geküsst“.
Der Tierarzt bescheinigt dem Pferd beste Gesundheit.Der Sattel sitzt korrekt. Die Hufbearbeitung ist optimal. Die Haltung des Pferdes ist auch optimal.Nun werde ich als Tierphysiotherapeutin gerufen, da Frau X sicher ist, dass irgendetwas nicht stimmen kann, denn sonst wäre der „Unfall“ ja nicht passiert. Ich palpiere das Pferd und schaue mir die Bewegung an.Mein Urteil:Ich gratuliere Frau X zu diesem wunderbaren Pferd. Es ist intelligent, es zeigt große Lebensfreude. Es ist interessiert und offen. Ein rundherum tolles Pferd.
Frau X ist pikiert und enttäuscht.Sie hat sich solche Mühe gegeben, ihr Pferd nur mit Liebe zu erziehen und zum Dank ist sie dann von ihm in den Sand gepfeffert worden. So ein gemeines, unfaires und undankbares Tier. Ab jetzt werden andere Seiten aufgezogen. Wenn es nur mit Liebe nicht geht, dann muss das Pferd eben auf die „harte Tour“ lernen. So ist das Leben nun mal. Da muss jetzt als erstes mal die Rangordnung geklärt werden. Wir Menschen müssen uns ja schließlich auch fügen…. usw. usw. usw.
Sehr traurig verlasse ich Frau X mit dem Pferd Y.
Was ist in Wirklichkeit passiert? Das Pferd hat unter dem Reiter seine Lebensfreude gezeigt und seinen Instinkten entsprechend auf Reize aus der Umwelt reagiert. Die Reiterin konnte mit dieser Lebensfreude und Lebendigkeit nicht umgehen, hat sich ängstlich angespannt, wodurch sie dem Pferd schmerzhaft in den Rücken „geknallt“ ist. Das Pferd hat auf diesen Schmerz instinktiv reagiert.
Wenn ich ein gesundes, fröhliches Pferd reiten will, muss ich auch körperlich und mental bereit, sein, damit umgehen zu können. Ich klettere ja auch nicht an einer steilen Bergwand hinauf, wenn ich nicht körperlich trainiert genug bin.
Ich reite seit meiner Kindheit und vom Pferd zu fallen gehörte dazu, war eine Selbstverständlichkeit. Ein Pferd ist nun mal keine Maschine. Im Alter von 45 Jahren hat mich eine Krankheit mit großer Operation vollständig aus dem körperlichen Gleichgewicht gerissen und ich kann deshalb sehr gut nachvollziehen, warum Reiter auf dem Pferd Angst haben.
Es ist dann aber der falsche Weg, das Pferd in die erlernte Hilflosigkeit zu zwingen. Der richtige Weg ist, entweder den eigenen Körper entsprechend zu trainieren und fit zu machen oder nicht mehr aufs Pferd zu steigen. (Man kann auch ohne zu reiten, sehr glücklich mit Pferden sein.) Ich habe damals beschlossen, an mir zu arbeiten, um weiterhin reiten zu können und nicht die Pferde zu drillen, damit sie meine Unfähigkeit aushalten, ohne sich zu wehren. So bin ich zum Tai Chi gekommen.
Ich möchte meinen Pferden guten Gewissens und mit Freude in die Augen schauen, wenn sie einfach nur sie selbst sind.
Sabine Bruns